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„Spielen wir heute Fußball?“

Sabine Mammitzsch ist Vizepräsidentin des Deutschen Fußball-Bundes für Frauen- und Mädchenfußball. Hauptberuflich arbeitet sie als Lehrerin für Sport und Mathematik an der Gemeinschaftsschule Faldera in Neumünster in Schleswig-Holstein. Mammitzsch hat das Fußballspielen erst spät für sich entdeckt, verbot der DFB doch das Kicken für die Frauen bis zum Jahre 1970. Erst mit Mitte 20 fand sie als Sport-Studentin den Weg zum VfB Union Teutonia Kiel, ihrem bis heute einzigen Verein. Copyright: DFB

Wir haben Sabine Mammitzsch nicht gefragt, wie sie die Chancen der deutschen DFB-Männer bei der Heim-EM einschätzt – das machen „Kicker“ & Co. Wir wollten von der DFB-Vizepräsidentin und hauptberuflichen Sportlehrerin wissen: Kicken Jungs und Mädchen auf dem Schulhof zusammen? Wie schwer ist Fußball als Abitur-Prüfungsfach? Und welche Fußball-Tricks hat sie selbst noch in petto?

Frau Mammitzsch, Sie sind Lehrerin für Mathematik und Sport. Welche Klassenstufen unterrichten Sie derzeit?

In bin an einer Gemeinschaftsschule mit Oberstufe. Bei uns übernimmt man in der Regel eine 5. Klasse, deren Schülerinnen und Schüler ich dann bis zum Abitur begleite. Wir sind jetzt gemeinsam im letzten Schuljahr, in der 13. Klasse. Ich unterrichte Sport in der Oberstufe als Profilfach. Das macht derzeit den Hauptteil meiner Stunden aus. Gerade wurde das Sport-Abitur geschrieben. Dazu leite ich noch die Fußball-AG in den Jahrgangsstufen fünf und sechs.

Eine gemischte Mannschaft aus Jungs und Mädchen?

Ja, die AG schreibe ich immer explizit für Mädchen und Jungs gemeinsam aus. Fünf Mädchen habe ich jetzt dabei, 18 sind wir insgesamt. Alles Fünftklässler. Das ist total süß, das Highlight meiner Woche. Die Kinder stehen teilweise schon in der Pause vor dem Lehrerzimmer und fragen, ob ich nicht schon ein paar Minuten früher anfangen wolle. Sie wissen aber auch, dass ich ein gradliniger Mensch bin. Wer nur Quatsch macht, sitzt auf der Bank.

13. Klasse, Sportabitur: Da haben Sie Ihre Schüler ja neun Jahre lang sportlich begleitet. Im Fußballgeschäft wäre das eine Ära.

(lacht) In der Schule spricht man sicher nicht von einer Ära, das ist bei uns normal. Aber natürlich ist es schön, wenn ich meine Schüler so lange begleiten darf und sehe, wie sie sich entwickeln.

Welche Rolle spielt der Fußball im Sport-Lehrplan? Erwarten die Schülerinnen und Schüler, dass man unter einer DFB-Vizepräsidentin in jeder Stunde kickt?

Ich muss mich an den Lehrplan halten. Aber natürlich spielen wir viel Fußball. Im Winter aber stehen andere Sportarten auf dem Plan, Turnen, Volleyball zum Beispiel. Die Erwartungshaltung vor allem bei den Jungs aber ist: Fußball, Fußball, Fußball. Das hat nichts mit meiner DFB-Tätigkeit zu tun, sondern mit der natürlichen Fußballbegeisterung. ‚Spielen wir heute Fußball?‘ ist die Standardfrage vor fast jeder Stunde, vor allem in jüngeren Jahrgängen und von den lauten Jungs. Die leisen, und auch viele Mädchen denken vielleicht: ‚Nicht schon wieder Fußball.‘

Spielen Mädchen nicht so gerne Fußball in der Schule?

Grundsätzlich schon. Ich melde regelmäßig auch Mädchenmannschaften zu „Jugend trainiert für Olympia“ an, da sind Zulauf und Begeisterung groß. Ende Mai ist es wieder soweit! 

Und der gemeinsame Kick mit den Jungs auf dem Pausenhof?

Selten. In der Freizeit setzen Jungs und Mädchen verschiedene Schwerpunkte. Selbst Mädchen, die leidenschaftlich im Verein spielen und drei Mal die Woche trainieren und jedes Wochenende ein Spiel haben: Auf dem Pausenhof oder in der Freizeit haben sie oft andere Präferenzen. Sie wollen in der Schule mit ihren Freundinnen quatschen. Würden sie stattdessen kicken, könnten sie ja was Entscheidendes in ihrer Clique verpassen.

Man kann aber mit Fußball Abitur machen?

Fußball ist ein wichtiger Teil des Schwerpunktfachs Sport. Da geht es auf recht hohem Niveau zur Sache. Die meisten meiner Schüler spielen seit Jahren im Verein. Abitur – das ist natürlich nochmal ein anderer Schnack. Bei den diesjährigen Prüfungen gab‘s tatsächlich eine Fußballaufgabe, eine Bewegungsanalyse des ‚Salto rückwärts‘ von Karim Adeyemi von Borussia Dortmund. Und ergänzend eine weitere Aufgabe zum Amateurfußball, wie mit Aggressionen auf dem Fußballplatz umgegangen werden soll. Dazu kommt dann die praktische Prüfung.

Sabine Mammitzsch, Vizepräsidentin des Deutschen Fußball-Bundes für Frauen- und Mädchenfußball. Copyright: DFB

Kicken Sie im Unterricht eigentlich mit? Sie mussten ja Ihre Karriere recht jung wegen einer Knieverletzung beenden.

Dramatisch war das ja nicht, ich habe danach noch lange Jahre auf dem Siebenerfeld gespielt. Wir sind tatsächlich einmal Schleswig-Holsteiner Ü-40-Meisterinnen geworden. Wenn ich ein Training an der Schule leite, kicke ich schon noch ein wenig mit. Sobald der Ball auf dem Feld ist, kann ich’s einfach nicht lassen. Da bin ich von inneren Kräften getrieben. Die Sprintqualitäten lassen vielleicht etwas nach. Ich bin mittlerweile beim Fußball-Walking angekommen, fürchte ich.

Erwarten die Schülerinnen und Schüler nicht, dass eine DFB-Vizepräsidentin mal zeigt, was sie am Ball kann?

Ach, ich weiß nicht… In jüngeren Jahrgängen kann ich mit dem einen oder anderen Trick vielleicht noch ein kleines Lächeln ernten. Aber im Prinzip haben schon die Jüngsten mehr Tricks auf Lager als ich je konnte.

Gerade jetzt, wo die Europameisterschaft der Männer im eigenen Land bevorsteht: Da wird der Fußball auf dem Pausenhof sicher noch wichtiger?

Nein. Die Jugendlichen leben ja oft in ihrer eigenen Welt, da ist das Morgen wichtiger als das Übermorgen. Die Europameisterschaft ist noch weit weg – auch wenn es nur noch Wochen, bald Tage sind. Die Schülerinnen und Schüler gucken den Bundesliga-Schlussspurt, die Pokalfinals und schauen natürlich auf die eigene Liga, wenn sie im Verein spielen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eher so zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel die Erkenntnis kommt: ‚Oh, Europameisterschaft. Gibt’s noch Tickets?‘

Sie sind auch DFB-Funktionärin. In sicher oft endlosen Debatten, im Ringen für den Frauen- und Mädchenfußball, fehlt Ihnen da nicht der Kick des Torjubels? Ein befreiender Erfolgsmoment jenseits von Verbands-Diplomatie?

Ehrlich gesagt: Nein. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich den Kick auch früher erst recht spät kennengelernt habe, als es mit meiner aktiven Karriere schon fast wieder vorbei war. In meiner Jugendzeit war Mädchen- und Frauenfußball eine fast subversive Sache. Offiziell wurde das Frauenfußballverbot erst 1970 aufgehoben. Im Schleswig-Holsteiner Verband habe ich im Jahr 1990 angefangen mit einem Platz im Männerspielausschuss. Auch wenn das eine zähe Angelegenheit war und auch oft noch ist, so freue ich mich gerade auch in der Verbandsarbeit über die kleinen und großen Erfolge. Natürlich renne ich nicht jubelnd über die Gänge. Mir reicht es zu erkennen: Wow, es passiert etwas.

Was passiert denn?

Wir bauen im Rahmen des Programms „DFB Assist“ zur Förderung des Frauenfußballs im Amateurbereich gerade ein Frauennetzwerk in Schleswig-Holstein auf, mit jetzt schon 30 jungen Frauen, die alle für den Fußball brennen. Ich war gerade beim ersten Netzwerktreffen dabei, ganz toll. Das war so ein „Wow-es-bewegt-sich-was“-Moment. Neue Strukturen schaffen neuen Esprit. Natürlich hat kein junger Mensch heute Lust, in verstaubten Verbandsgremien stundenlang Vorträge zur Beschlusslage abzusitzen. Die treffen sich virtuell, kurz und knackig, und treffen Entscheidungen. Die Verbandsstrukturen müssen der neuen Zeit entsprechend angepasst werden.

In Australien bei der Weltmeisterschaft der Frauen hätten Sie einen sportlichen „Wow“-Moment erleben können. Stattdessen wurde es ein „Au“-Moment. Nach dem 1:1 gegen Südkorea und dem Aus in der Vorrunde standen Sie alleine auf dem Rasen von Brisbane: Was dachten Sie da?

Ich hatte mich schon oben auf der Bühne nur mittelprächtig gut gefühlt. Ich saß da als Repräsentantin für Deutschland, und eine FIFA-Kollegin hat mir immer auf die Schulter geklopft mit den Worten „Das wird schon noch“. Da war ich mir aber nicht sicher, und es wurde ja auch nichts mehr. Natürlich hofft man bis zum Schluss. Auf dem Rasen hinterher war ich einfach nur fassungslos. Ein Tor entscheidet über Wohl und Weh. Ich musste mich zusammenreißen. Ich habe dann die Spielerinnen und die Trainerinnen getröstet, die ja alle noch viel mehr am Boden waren.

Und aus den Stadionlautsprechern tönte obendrein „Happy“ von Pharrell Williams…

Tatsächlich? Das habe ich gar nicht gehört.

Und dann: Mundabputzen und weiter?

Ja. Kopf hoch und nach vorne schauen. Das habe ich in den Jahren im Fußball gelernt: Nach jedem Down kommt wieder ein Up. Es geht weiter, und beim nächsten Erfolg ist die letzte Niederlage schon fast vergessen.

Und im Zweifelsfall gibt es ja Horst Hrubesch…

Der tut uns wirklich gut in dieser schwierigen Situation. Mit seiner Lockerheit, seiner Bodenständigkeit konnte er die Spielerinnen wieder in die Erfolgsspur bringen.

Sabine Mammitzsch, Vizepräsidentin des Deutschen Fußball-Bundes für Frauen- und Mädchenfußball. Copyright: DFB

Nach Olympia übernimmt Christian Wück das Frauen-Team. Wir fragen jetzt einmal ketzerisch: Gab es keine Trainerin, keinen Trainer, die oder der zumindest schon einmal mit Frauen gearbeitet hat? Wücks größter Erfolg ist ein WM-Titel mit 16-jährigen Jungs?

Auf dem Papier mag man das denken. Ich habe aber volles Vertrauen in unsere sportliche Leitung, mit Christian Wück genau den Richtigen verpflichtet zu haben. Zudem steht ihm mit Maren Meinert ja noch eine sehr erfahrene ehemalige Spielerin zur Seite. Meine Erfahrung auch als Lehrerein im Umgang mit Jugendlichen ist: Wer es mit 16-Jährigen schafft, ein Team zu formen und einen Weltmeistertitel zu holen, der hat enorme Qualitäten.

Als Erziehungs- bzw. Pubertätscoach?

Die Arbeit mit pubertierenden Jugendlichen, die alle schon einen Berater, meist einen lukrativen Vertrag und vor allem ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein haben, ist eine echte Qualitätsprüfung für einen Coach. Ich habe Christian Wück nach dem WM-Titel in die Augen geschaut. Da wusste ich: Dieser Mann hat Großes geleistet.

Sie selbst sind seit mehr als 40 Jahren bei einem Verein engagiert, dem VfB Union-Teutonia Kiel. Das ist wahre Vereinstreue.

Wir sind so etwas wie das Klein-St.-Pauli von Schleswig-Holstein. Es wird viel für den Frauenfußball getan, für Diversität, für Inklusion. Unsere Frauenmannschaft steht leider derzeit etwas auf Stand-by. Wir sind zu wenige, und wir sind zu alt. Aber wir haben viel Spaß. Wir haben uns vor rund 40 Jahren gegründet, aus der Uni-Mannschaft heraus. Nachwuchs ist herzlich willkommen!

Der frühere TV-Reporter Gerhard Delling hat auch dort gespielt. Nach ihm wurde eine Kabine benannt. Eine „Sabine Mammitzsch“-Kabine gibt’s noch nicht?

Nein, bisher noch nicht. Aber neulich habe ich da etwas wispern gehört, da ist was im Busche (lacht). Aber ganz ehrlich, das ist mir nicht wichtig.

Sie unterrichten nicht nur Sport, sondern auch Mathematik: Hilft Mathe in der Auseinandersetzung mit dem Thema Fußball? Der Fußball ist ja eher von Emotionen getrieben und, wie viele meinen, nicht berechenbar.

Auch Mathematik kann Leidenschaften wecken! Sie sollten mich mal an der Tafel während einer Schulstunde erleben. Wenn aus einem riesenlangen Term plötzlich eine Zahl wird, dann begeistert mich das, ganz ehrlich.

Jubeln Sie dann?

Ich freue mich. Und auch die Fußballer in meinem Kurs sehen, dass Mathe cool sein kann. Ich habe im Abi-Kurs einen Torwart, der in einer höheren Liga spielt. Der ist richtig gut in Mathe. Gerade im Tor geht’s ja schon auch um eine Berechenbarkeit bestimmter Situationen. Und Mathe ist ein schöner, ein klarer und analytischer Ausgleich zum Kicken auf dem Platz.