Jonna Wrede ist Jugendnationalspielerin. Im vergangenen Jahr lief die Spielerin von Altona 93 erstmals in einem Spiel der U15-DFB-Jugend auf. Im Gespräch mit Continental erzählt die heute 15-Jährige, wieviel Raum Fußball in ihrem Leben einnimmt, warum sie um manche Party im Park einen Bogen macht – und weshalb man als Mädchen auf jeden Fall auch in einer Jungsmannschaft spielen sollte.
Jonna, der 9. Dezember 2022, etwa 17 Uhr: Was ging Dir da durch den Kopf?
Alles und gar nichts! Mir wirbelten viele Gedanken durch den Kopf, aber nicht lange. Ich war natürlich aufgeregt. Ich bin noch einmal alles durchgegangen, was mir die Trainerinnen vorher gesagt hatten. Was wir in der Woche davor trainiert hatten.
Es war der Anpfiff zur zweiten Halbzeit im Freundschaftsspiel der U15-Nationalmannschaften von Belgien und Deutschland. Du wirst eingewechselt, Deine ersten Schritte im Nationaltrikot…
Ja, in der zweiten Halbzeit sind alle Spielerinnen eingewechselt worden, die auf der Bank saßen. Wir waren fünf oder sechs. Viele Spielerinnen waren neu dabei. In einem Testspiel kann viel ausprobiert werden. Beim Warmmachen vorm Spiel wusste ich noch nicht, ob wir wirklich alle würden spielen können. Mit dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit stand ich dann auf dem Platz. Das war schon echt besonders.
Wie hattest Du Dir den Moment vorgestellt? Du hattest zu dem Zeitpunkt ja schon fast zehn Jahre Fußball gespielt, in Mädchen- und Jungsmannschaften bei Deinem Verein Altona 93. Und dann erklingt die Nationalhymne.
Weiß ich gar nicht. Ich hatte lange davon geträumt, das stimmt. Aber nicht so konkret, wie es dann in der Minute des Einwechselns werden würde. Mit der ersten Ballberührung war ich dann sofort im Spiel, da hatten andere Gedanken keinen Platz. Wobei ich mir bei dieser ersten Berührung den Ball viel zu weit vorgelegt habe. Da war ich wohl etwas übermotiviert. Aber dann war ich hellwach.
Ihr habt 2:2 gespielt, nachdem Ihr nach der ersten Halbzeit noch 2:0 vorne lagt. Ist das nicht blöd, wenn man dann noch zwei Dinger einfängt?
Klar, toll war das nicht. Du wirst eingewechselt, und die Gegnerinnen schießen noch zwei Tore. Ich habe ja auch zunächst als Außenverteidigerin gespielt, wurde dann aber hochgeschoben, um mehr Druck zu machen. Aber es war ja ein Testspiel. Wir Einwechselspielerinnen waren die Neuen im Team, wir waren aufgeregt, da ist das dann nicht so dramatisch, denke ich. Aber natürlich wollten wir gewinnen.
Du bist mittlerweile 15 Jahre alt. Jetzt würde die U16 rufen…
Richtig. Sie hat auch schon gerufen. Ich war beim Lehrgang und habe es in der Perspektivkader geschafft. Damit habe ich die Chance, zu den nächsten Länderspielen berufen zu werden.
Fußball ist sicher ein sehr wichtiger Faktor in Deinem Familienleben.
Ja. Denn irgendwie stehen ja auch meine Eltern dann mit auf Standby. Einmal kam der Anruf, dass ich beim Lehrgang dabei bin, zwei Stunden vorher. Dann muss geklärt werden, wie ich dahin komme. Meine Eltern sind auch gar nicht so auf das Thema Fußball konzentriert. Da wird es dann schon auch stressig. Einmal stand ein Geburtstag in meiner Familie an, und ich musste plötzlich aus Hamburg nach Mönchengladbach zu einem Lehrgang. Irgendjemand musste mich zum Zug bringen. Oder wenn es zur Auswahlmannschaft nach Hamburg geht, da muss ich quer durch die Stadt, da wollten meine Eltern mich gerade in jüngeren Jahren auch nicht abends alleine mit der S-Bahn fahren lassen.
Du bist in einem Alter, wo die ersten Partys anstehen. Da trifft man sich im Park zum Abhängen. Wo es wichtig ist, zu welcher Clique man gehört. Fragst Du Dich nicht manchmal, ob Du Dich mit Deinem Fußball nicht auch ausgrenzt von all den anderen Dingen, die Spaß machen?
Doch, schon. Jetzt sind ja wirklich alle im Party-Modus. Man trifft sich abends im Fischi, also im Fischerspark in Altona. Dort übertreibt es auch der eine oder andere. Ich tue das nicht. Meine Priorität liegt auf Fußball. Meine Freundinnen supporten mich aber. Wenn die Chance da ist, weiterzukommen, will ich die nutzen. Es kann ja immer die entscheidende Chance sein.
Aber absagen musst Du dann schon oft bei Partys?
Ja. Und wenn du dreimal absagst, dann lädt dich die Freundin vielleicht irgendwann nicht mehr ein. Darüber denke ich schon nach. Aber in meinem Freundeskreis weiß man natürlich auch, was für eine Chance ich habe. Deswegen findet mich jetzt niemand doof, denke ich. Mit der Zeit habe ich einige Freundinnen in den Auswahlmannschaften gefunden. Ich treffe mich dann mit Leuten, die die gleichen Interessen haben wie ich. Die wissen, was es bedeutet, jedes Wochenende ein Spiel zu haben und mindestens drei Mal die Woche zu trainieren. Ich stelle mir zum Beispiel jeden Morgen den Wecker auf sechs Uhr. Ich gehe dann in den Fischi und trainiere alleine, vor der Schule. Sprints zum Beispiel, um schneller zu werden.
Was sind denn Deine Stärken und Schwächen auf dem Platz?
Ich kann Passwege sehr gut erkennen. Ich weiß, wo ich stehen muss, wo ich hinlaufen muss. Dazu habe ich einen guten linken Fuß, das ist wichtig. Ich kann gut schießen. Meine Mentalität ist auch meine Stärke. Ich bin selbstkritisch, aber positiv dabei. Ich will mich immer verbessern. Wo ich nicht so gut bin? Ich werde leicht hektisch auf dem Spielfeld. Ich müsste mich manchmal schneller entscheiden, bleibe zu lange am Ball. Daran arbeite ich jetzt. Ich spiele ja, je nach Mannschaft, in der Abwehr wie auch in der Offensive, da muss man vielseitig sein.
Bei Altona 93 spielst Du in einer Jungsmannschaft, als einziges Mädchen. Verstehst Du Dich gut mit Deinen Mitspielern?
Ja, ich habe eine wirklich gute Mannschaft gefunden. Ich habe auch früher in anderen Jungsmannschaften gespielt, da war das nicht so toll. Da wurde man als Mädchen einfach mal ignoriert. Jetzt ist das anders. Ich wurde echt super aufgenommen. Das hat natürlich auch damit zu tun, wie gut man spielt. Die schauen, und wenn du was kannst, dann läuft es gut zusammen. Übrigens habe ich aber gerade gewechselt, ich spiele jetzt bei Teutonia 05 in einer Jungsmannschaft, auch in Altona.
In Hamburg zieht es viele talentierte Mädchen schnell zum HSV.
Es gab schon lange bei mir Überlegungen, mal zu wechseln. Vor zwei, drei Jahren war klar: Bei den Mädchen geht es hier nicht weiter, ich brauche eine Jungsmannschaft. Die hatte ich dann bei Altona 93 gefunden. Jetzt gerade gibt es Gespräche, ein Zweitspielrecht für eine Mädchenmannschaft tatsächlich beim HSV zu bekommen. Denn irgendwann sind die körperlichen Unterschiede vielleicht doch zu groß in einer Jungsmannschaft.
Warum ist es so wichtig, einige Jahre in einer Jungsmannschaft zu spielen?
Da wird einfach anders gespielt, schneller und körperbetonter. Die Entwicklungssprünge sind schneller. Wenn alle um dich herum schneller sind, dann wirst du selbst auch schneller. Außerdem gibt es mehr gute Jungs- als Mädchenmannschaften, das ist einfach so. Und die sind technisch dann weiter als die meisten Mädchenmannschaften.
Klopfen schon die Scouts an die Tür?
Nicht wirklich. Im Hamburger Raum gab es schon Gespräche, und neulich kam eine Anfrage per Brief aus Jena für ein Probetraining. Das war aber wirklich keine Perspektive für mich.
Weißt Du, wann Du diesen Ehrgeiz entwickelt hast? Als Du gemerkt hast: „Ich bin besser als viele andere.“ Wann hast Du gedacht: Ich will in die Bundesliga, ich will ins Nationalteam?
Am Anfang war mir wirklich nur wichtig: Spielen, Spaß haben. Ich habe die ersten Schritte bei Fritz gemacht, das ist so eine Trainerlegende bei Altona. Er ist mittlerweile über 80 Jahre alt und immer noch aktiv bei den kleinen Mädchen. Da gab es ein Gummibärchen, wenn man fünf Mal zum Training gekommen war. Da geht man dann natürlich hin (lacht). Mit acht oder neun kam dann eine neue Trainerin, dann wurde ich zur Kapitänin gemacht. Dann wurde es ein bisschen ernster, dann kamen die Auswahlmannschaften. Auf dem Schulhof habe ich immer mit den Jungs gespielt, und die wollten alle Bundesligaspieler werden. Das wollte ich dann auch. Aber bei den Männern, nicht bei den Frauen! (lacht) Jetzt ist mein Ziel natürlich: Frauenfußball!
Frauenfußball ist jetzt cool?
Auf jeden Fall! Ich gucke jetzt auch jedes Spiel. Vor allem seit der EM vergangenes Jahr in England, das war ein tolles Turnier. Davor war es schwierig, weil man mit kaum jemanden darüber reden konnte. In der Schule und in meiner Jungsmannschaft waren die nicht unbedingt interessiert am Frauenfußball. Das ist jetzt aber anders. Bei der EM haben alle mitgefiebert, auch die Jungs!
Wir haben uns umgehört. Alle beschreiben Dich als sehr nett und zuvorkommend, als fast immer gut gelaunt. Das klingt ja fast zu gut, zu lieb, um sich im Haifischbecken des Fußball-Nachwuchses durchzusetzen…
Um in die Auswahlmannschaften reinzukommen, da gehört schon wirklich Biss dazu. So ein Sichtungstraining ist hart. Da ist die Konkurrenz groß, jede will, die wenigsten dürfen. Irgendwie habe ich mich aber durchgebissen. Danach wird es entspannter. Da setzt sich der Gedanke durch: Alle wissen, dass man nicht alleine gut ist, sondern im Team. Man erreicht nur zusammen etwas.
Die wenigsten schaffen es am Ende wirklich – selbst von den Hochbegabten, wie Du es bist. Der Traum von der Bundesliga, vom Nationalteam kann platzen, obwohl man so viel in der Jugend dafür aufgegeben hat…
Ich mache mir da keinen Stress. Mir bringt es ja Spaß, das ist mein Ding. Ich gebe zwar einiges auf, bekomme aber auch viel dafür. Bundesliga wäre ein Traum, Nationalmannschaft die Kirsche obendrauf. Das ist mein Ziel. Wenn es am Ende nichts wird damit, damit kann ich mich dann auseinandersetzen. Ich bin jetzt nur darauf fokussiert, es zu schaffen.
Bei der nächsten Frauen-WM 2027 wärst Du 19 Jahre alt. Deutschland hat sich als Gastgeber beworben. Ist das ein Ziel?
Bei einer Heim-WM zu spiele, wäre einfach krass. Aber mit 19 wäre ich noch sehr jung. Ganz ehrlich, das ist kein konkretes Ziel. Mein Ziel ist es, in der U16 weiterzukommen. Dafür gebe ich jetzt alles.
Jonna Maj Wrede ist 15 Jahre alt und seit vergangenem Jahr Nationalspielerin im DFB. Bei ihrem Hamburger Heimatverein Altona 93 spielte sie, seitdem sie fünf Jahre alt war. Seit Jahren nur in einer Jungsmannschaft, so wie auch jetzt bei ihrem neuen Verein Teutonia 05 Ottensen. Jonna hat zwei Brüder, älter und jünger: beide spielen keinen Fußball.